Interessengruppe für den Erhalt des
dörflichen Charakters in Wilstedt


Zur Geschichte des Dorfes

von Hans-Werner Behrens

Mit einem gesicherten Alter von mindestens 1150 Jahren gehört Wilstedt zu den ältesten Dörfern in Niedersachsen. Es würde den Rahmen dieser Homepage sprengen, hier die Geschichte des Ortes ausführlich darzustellen. Stattdessen will ich die Aufmerksamkeit des Lesers nur auf drei bedeutende Ereignisse lenken, von denen im Zusammenhang mit den Feiern zum Jubiläum 1960 und 2010 immer wieder die Rede war.

So war zu hören und zu lesen, dass unser Ort im Jahr 860 „erstmals urkundlich“ erwähnt wurde, dass im Rahmen der Christianisierung der Germanenstämme der „Schlusskampf“ zwischen Sachsen und Franken unter Führung des Herzogs Widukinds und des Königs Karl d. Gr. im Jahr 796 auf der Wüllenheide bei Wilstedt stattgefunden haben soll und dass die Oldenburger Gräfin Gwilla um 1060 ein Haus auf dem Klusberg baute und die Wilstedter Kirche stiftete.

Zur ersten „urkundlichen“ Erwähnung des Dorfnamens:

Für Wilstedt begann die geschichtliche Zeit um 860 mit der ersten schriftlichen Erwähnung des Dorfnamens in einer Heiligenlegende, die auf Erzbischof Ansgar zurückgeht. Es ist die bekannte Geschichte der blinden Ikkia aus Willianstedi, die angeblich, von ihrer Nachbarin geleitet, zu Fuß durch das damals ziemlich unwegsame Moor zum Bremer Dom pilgerte und dort am Grab des Bischofs Willehad sehend wurde. Wenn in diesem Zusammenhang von einer „urkundlichen Erwähnung“ die Rede ist, so ist das ein Irrtum, weil Wundergeschichten keine Urkunden sind. Die erste urkundliche Erwähnung, die Nennung im Rahmen eines Rechtsgeschäftes fällt in das Jahr 1124, als Papst Calixtus II. das Kloster Rastede bei Oldenburg mit allen Besitzungen, zu denen auch einige Höfe in Wilstedt gehörten, seinem Schutz unterstellte.

Dr. Kappelhoff, der Präsident des Niedersächsischen Landesarchivs, bemerkte in seiner Festrede zum 1150jährigen Dorfjubiläum richtig, dass wir außer der Tatsache, dass es vor 1150 Jahren bereits einen Ort mit dem Namen Willianstedi gab, nichts an Fakten zur Frühgeschichte Wilstedts in der Hand haben. Wilstedt ist in Wahrheit wesentlich älter als angegeben. Die erste namentliche Nennung im Jahr 860 setzt ja voraus, dass das Dorf zu dieser Zeit bereits existent war. Wie lange es diesen Ort damals schon gab, weiß niemand und wird auch künftig niemand wissen. Seit wann die erste Siedlung den Namen Willianstedi trug, bleibt auf Dauer im Nebel der vorgeschichtlichen Zeit verborgen. „Hierüber nähere Spekulationen anzustellen, ist ohne jede Grundlage und daher völlig müßig; jedes auf diese Weise erreichte Ergebnis wäre reine Phantasie und hätte nicht mit einer früheren Wirklichkeit zu tun.“

Zum „Schlusskampf“ zwischen Sachsen und Franken auf der Wüllenheide ist zu bemerken: Verlässliche Quellen und ersichtliche Gründe dafür, dass Widukind, der sich bereits im Jahr 785 mit seiner Taufe den Franken sichtbar unterwarf, als sächsischer Christ elf Jahre später wieder rückfällig wurde und den germanischen Götterglauben und die alten Stammesrechte auf der Wüllenheide bei Wilstedt gegen König Karl und gegen seine christlichen fränkischen Glaubensbrüder verteidigte, gibt es nicht. Ein solches bedeutendes Ereignis wäre mit Sicherheit von dem Biografen und Zeitgenossen Karls d. Gr. in der „Vita Caroli“ erwähnt worden. Nach Einhard nahm Karl „nur zweimal, und zwar innerhalb eines Monats, an den Feldschlachten teil – das erste Mal am Berg Osning bei dem Orte Detmold und einige Tage später am Ufer des Flusses Hase“. Was in den Jahren nach der Taufe Widukinds noch an kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Sachsen und Franken immer wieder aufflackerte, wird von namhaften Historikern als eine Art „Partisanenkampf“ oder als „Nachspiel“ bezeichnet und kann nicht als „Schlusskampf“ oder „Entscheidungsschlacht“ bezeichnet werden. Diese Zusammenstöße, die es nach 800 noch gegeben haben soll, mögen aber als historischer Kern der Sage von der Schlacht auf der Wüllenheide angesehen werden. Archäologische Nachweise (Knochenfunde, Reste von Rüstungen, Münzen oder andere Gegenstände) die auf eine frühere Schlacht hinweisen, an der allein schon auf fränkischer Seite etwa 10 000 Mann beteiligt waren, fehlen. Die in früherer Zeit freigelegten Grabhügel, in denen Becher, Feuersteinklingen und anderes gefunden wurden, weisen auf die jüngere Steinzeit und auf die Bronzezeit hin, nicht aber auf das ausgehende 8. oder beginnende 9. Jahrhundert, als die Auseinandersetzungen zwischen Sachsen und Franken stattfanden. Nach der heute vorhandenen Quellenlage ist ersichtlich, dass der Ort der Handlung (die Wüllenheide) das Wort „Schlusskampf“ oder „Entscheidungsschlacht“ und die dafür angegebenen Jahreszahlen Aussagen sind, die in Veröffentlichungen von anderen Autoren unkritisch in gutem Glauben übernommen wurden und einer gründlichen Nachprüfung nicht standhalten.

Im alten Dorfkern steht heute der 33,7 Meter hohe Kirchturm der Wilstedter Kirche.
Im alten Dorfkern steht heute der 33,7 Meter hohe Kirchturm der Wilstedter Kirche.
Im alten Dorfkern steht heute der 33,7 Meter hohe Kirchturm der Wilstedter Kirche.
Im alten Dorfkern steht heute der 33,7 Meter hohe Kirchturm der Wilstedter Kirche.

Zum Bau des Hauses auf dem Klusberg und zur Stiftung der Kirche um 1060 durch die Oldenburger Gräfin Gwilla ist anzumerken, dass dafür keine verläßlichen schriftlichen Quellen und andere Hinweise vorhanden sind. Die in früheren Zeiten auf dem Klusberg angeblich gefundenen „Mauertrümmer“ sind archäologisch nie untersucht und heute wohl nicht mehr vorhanden. Ob einige dort liegende Steine mit Mauertrümmern aus der Zeit um 1060 identisch sind, erscheint sehr fragwürdig. Das Wort Klus oder Kluse wird in entsprechenden etymologischen Wörterbüchern als Klause, Einsiedlerwohnung gedeutet. Eine Deutung als Kloster ist also abwegig, daher ist auch auszuschließen, dass auf dem Klusberg in früherer Zeit ein Mönchkloster gestanden hat, wie eine „örtliche Sage“ berichtet haben soll. „Von einem solchen wäre eine bestimmte schriftliche Nachricht erhalten“ – so ist schon in den Kunstdenkmälerinventaren Niedersachsens zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu lesen (Siebern/Wallmann/Meyer, Hannover 1908, S. 211).

Ähnlich ist es mit der angeblichen Stiftung der Kirche. Hier ist besonders auf die von manchen Historikern mit Skepsis angesehene historische Belegbarkeit dieser Oldenburger bzw. Rasteder Grafenfamilie hinzuweisen. Wenn man aber doch von einer früheren tatsächlichen Existenz Gwillas und von der genannten Kirchengründung ausgeht, handelte es sich vermutlich um ein hölzernes Bethaus, das im 12. Jahrhundert durch einen größeren Bau aus Findlingen und 1722 durch einen weiteren Folgebau ersetzt wurde. Im Mittelpunkt des alten Dorfkerns ist die Kirche so ein sichtbarer Teil des dörflichen Lebens in Wilstedt.

Die Geschichte des Kirchdorfs ist umfangreich und interessant. Näheres ist besonders den beiden Büchern des Verfassers zu entnehmen, die in den letzten Jahren erschienen und noch im örtlichen Buchhandel und im Gemeindebüro erhältlich sind:

Wilstedt – Kirchdorf an der Wörpe. Beiträge zur Geschichte. Band 1, Stade 2006 und Band 2, Wilstedt 2010.

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